Das Ensemble FisFüz

Eine Heimat aus Tönen
An einem Dienstagabend Mitte der Neunziger Jahre kletterten zu vorgerückter Stunde drei junge Musiker auf die Offene Bühne des Jazzhaus Freiburg. Dort regierten sonst eher anglo-amerikanisch geprägte Songwriter und die Traditionen der britischen Inseln. Doch plötzlich wehten orientalische Skalen und Rhythmen durch den Gewölbekeller, und eine ausgelassene Party begann, angeheizt durch mitreißende Darbuka, wirbelnde Klarinette und knackigen E-Bass. Die Folkies hielt es nicht mehr auf den Stühlen, und am nächsten Morgen war das Trio, das den wundersamen Namen FisFüz trug, Tagesgespräch. Einige Male sind FisFüz noch auf die Offene Bühne zurückgekehrt, doch es war schon damals klar: In dieser jungen Gruppe um den deutsch-türkischen Perkussionisten Murat Coşkun
und die Flensburger Klarinettistin Annette Maye - zunächst noch mit wechselnden Gastmusikern - steckte ein Potenzial, dass sie schnell zu anderen Gestaden führen würde.

Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, und tatsächlich ergäben diese Gestade, zu denen es FisFüz getragen hat, ein Gewimmel bunter Fähnchen, steckte man sie alle auf einer Karte ab. Heute, wo in Mitteleuropa ein globalisiertes Musikvokabular selbstverständlich geworden ist, lässt es sich gar nicht mehr so richtig ermessen, welche Lanze FisFüz mit ihren ersten CDs Bosphorus Fishing und der originell gefertigten Sim Sim (samt Sesamsamen!) für dieses Genre gebrochen haben. Doch damals war sie pionierhaft, diese Mischung aus clever bearbeiteten türkischen und balkanischen Melodien und jazziger Improvisation. Der Südwestrundfunk belohnte das bereits 1998 mit seinem Weltmusikpreis, und rasch schickte auch das Goethe-Institut die jungen Künstler bis in den Iran und nach Nordafrika. Es folgte eine kurze Auszeit mit Soloprojekten und veränderten Lebensmittelpunkten.

Den Zenit ihrer klanglichen Farbenpracht bilden vielleicht die Alben Ashuré (2011) und Papillons (2012): beide im warmen Analogsound der legendären Villinger MPS-Studios entstanden, einmal gewürzt mit den indischen Zutaten des Schlagwerk-Gastes Ramesh Shotham, einmal mediterran aufblühend mit dem langjährigen Klarinetten-Freund Gianluigi Trovesi - nebenbei: nur zwei vieler illustrer Teamworker des Ensembles, unter denen sich so klangvolle Namen wie Giora Feidman, Michel Godard oder das Freiburger Barockorchester tummeln. Wer die Papillons-Sessions im tiefverschneiten Schwarzwald miterleben durfte, diese hochkonzentrierten, inspirierten und auch humorvollen Stunden mit dem italienischen Jazzgiganten, dem wurde bewusst, welchen grandiosen Weg FisFüz seit ihrer Geburtsstunde zurückgelegt haben.
Zwanzig Jahre FisFüz! Das gilt es zu feiern, und das tun die drei Musiker ausgiebig mit ihrer Jubiläums-CD Bonsai. Die lässt nicht nur simpel die zwei Dekaden Ensemblegeschichte Revue passieren, sondern vereint lange nicht mehr gehörte Perlen und aktuellere Kompositionen in neuen Gewändern: Vom geheimnisvoll-suggestiven "Blue Carpet" über den schaukelnden Sudan-Groove von "Tokar" bis zum sanften spanischen Lied "Ay Linda Amiga", vom qürtaktigen Titelstück übers schmissige Klezmer-Intermezzo "Odessa Bulgar" zum verträumt-bluesigen "Filouesken Geheimis". Und natürlich darf auch der All Time-FisFüz-Hit "Bosphorus Winds" nicht fehlen.

Heute ist jeder der drei "FisFüzler" für sich eine Koryphäe: Murat Coşkun wirkt als ein über viele Landesgrenzen hinaus geschätzter Perkussionist, Komponist und Dozent, der mit seinem weltweit einzigartigen Tamburi Mundi-Festival alljährlich die globale Rahmentrommelgemeinde zusammenführt. Anette Maye, die von Köln aus als vielgefragte Virtuosin in der Neuen Musik und Impro-Szene unterwegs ist, hat mit "Multiphonics" einen fantastischen, stilübergreifenden Klarinettengipfel ins Leben gerufen. Und schließlich Gürkan Balkan, der mit seiner Saitenkunst am Bosporus in Klassik, Folk und türkischem Pop zu finden ist. Doch wenn sie zusammenkommen, um neue Klangabenteuer zu bestehen, dann ist das für alle drei ein Stück Heimat. Eine Heimat, die nicht an einen Ort gebunden ist. Sie kann nicht nur in Freiburg, Köln oder Istanbul sein. Auch da, wo der Wind über der anatolischen Hochebene sein Lied pfeift, der Mond das Meer erleuchtet. Wo sich Tango und Klezmer zu einem Fantasiegebilde vereinigen, am Lagerfeuer Flamenco getanzt wird oder Rokoko und Osmanisches Reich ineinanderfließen. Es ist eine Heimat aus Tönen, die sie überall zusammen mit ihrem begeisterten Publikum bewohnen können - sowohl im Morgen- wie auch im Abendland.
(Stefan Franzen)